Dysphagietherapie in palliativer Situation

Gastbeitrag von Nicole Bruggisser

In palliativen Situationen steht in der Dysphagietherapie eine Linderung der Symptome mit dem Ziel einer besseren Lebensqualität im Zentrum. Palliative Care kommt zum Zug, wenn nicht Heilung das primäre Ziel ist.

 

Neurodegenerative Krankheiten wie ALS, MS, Parkinsonkrankheiten oder Chorea Huntington führen oft zu Dysphagien, ebenso wie Tumorkrankheiten in den Gebieten Kopf-Hals, Gehirn, Lunge oder Magen-Darm-Trakt. Auch gebrechliche Patient:innen mit Mehrfacherkrankungen können palliative Dysphagietherapie benötigen.

 

Essen und Trinken bleibt auch bei unheilbar schwerer Krankheit ein zentrales menschliches Anliegen. Spezialisierte Dysphagietherapie unterstützt Patienten, Angehörige und das Betreuungsteam. Dabei können sich die Bedürfnisse der Betroffenen im Verlauf verändern.


KRANKHEITSSPEZIFISCHE bESONDERHEITEN


Die nachfolgende Zusammenfassung zeigt typische Fragestellungen bei einzelnen Krankheiten in palliativer Situation auf.

ALS

  • Husten, Speichelmanagement, Zeitbedarf beim Essen, Inappetenz
  • Zahnprobleme, erschwerter Lippenschluss, Atrophie Kaumuskulatur
  • Vorsicht vor isolierten Kraftübungen im Rahmen des Muskelabbaus
  • Hilfsmittel wie Becher, Besteck, Mobiliar, Konsistenzmodifikation, Haltungsanpassungen
  • PEG-Einlage rechtzeitig besprechen (parallel zum Essen) – Entlastung, Lebensverlängerung und Vermeidung von Komplikationen. Einlage, solange noch genügend respiratorische Funktion (Vitalkapazität) vorhanden und BMI nicht zu tief
  • Atemmuskulatur; verminderte Belüftung unterer Lungenabschnitte, Tagesmüdigkeit: Atemtherapie, nachts nicht-invasive Beatmung
  • Sekretmanagement: Dehnlagerungen, Befeuchtung, Cough Assist etc.
  • Wichtige Entscheidungen wie die Einstellung zu einer Tracheotomie rechtzeitig besprechen

KOPF-/HALS-TUMOREN

  • Auswirkungen von Operationen und kurz- und langfristigen Bestrahlungsfolgen (Fibrose, Neuropathien, Ödeme, Mukositis, Xerostomie, Trismus)
  • Schlucktherapie schon vor der Operation oder Bestrahlung beginnen (pharyngealer Tonus, Bewegungsausmass, Präzision, Muskelelastizität, Mobilität)
  • Essen, Trinken, Kauen als Therapie und Spätfolgenprophylaxe

Parkinson und verwandte Krankheiten

  • Langsame Entwicklung über Jahre
  • Orale Phase durch Rigidität beeinträchtigt – kleine, ineffektive Zungenbewegungen, schwieriger Bolustransport, Sialorrhoe, reduzierte Schluckfrequenz
  • pharyngeale Phase verzögert, eingeschränkte Sensibilität, schwacher Hustenstoss
  • Inkomplette Relaxation des oberen pharyngooesophagealen Segments, oesophageale Dysmotilität

HUNGER UND DURST AM LEBENSENDE

Sorgen

Oft machen sich Angehörige Sorgen über die geringe Essensmenge am Lebensende. Auch Angst vor dem Verdursten wird oft geäussert. Aufklärung über die physiologischen Prozesse ist wichtig.


Hunger

Das Essbedürfnis nimmt in einer palliativen Situation ab. Kommt ein Hungergefühl auf, ist es meist mit wenigen Löffeln Nahrung gestillt. Künstliche Nahrungszufuhr ist nicht sinnvoll, da Magen und Darm damit nicht mehr zurechtkommen, was zu Verschleimung, Übelkeit, Erbrechen und Durchfällen führen kann.


Durst

Durstgefühl hängt meist mit trockener Mundschleimhaut zusammen und kann mit Mundpflege gut befriedigt werden. Flüssigkeitszufuhr ist dagegen eine Belastung, da sie bei eingeschränkter Nierenfunktion zu Einlagerung in die Lunge und Atemnot führen kann. Sauerstoffgabe trocknet aus und ist nicht hilfreich. Die Verringerung von Flüssigkeit und Ernährung führt zu Veränderungen im Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt mit der Folge, dass vermehrt Endorphine (körpereigene Morphine) ausgeschüttet werden. Diese bewirken eine Verringerung von Schmerzen und eine Stimmungsaufhellung.


Mundpflege

Die Anleitung zur Mundpflege ist eine gute Möglichkeit, Angehörigen eine wertvolle Betreuungsaufgabe zu geben, wenn sie dies wünschen.

Lieblingsgetränke in einer Sprayflasche oder Fruchtstückchen in Kompresse können die Speichelproduktion anregen.


Weiterführende Literatur