Schlucken im Alter

Wie alle Körperfunktionen durchläuft auch das komplexe Bewegungsmuster des Schluckakts einen natürlichen Alterungsprozess. Dieser physiologische Prozess wird als primäre Presbyphagie bezeichnet und kann bereits ab 65 Jahren sichtbar werden. Kommen zusätzlich Erkrankungen wie ein Schlaganfall oder neurodegenerative Erkrankungen hinzu, vermag der Körper die Veränderungen nicht mehr zu kompensieren und eine sekundäre Presbyphagie entwickelt sich.


Primäre Presbyphagie

Neben verschiedenen Alterungsprozessen verändert sich auch die Physiologie des Schluckvorganges im Alter. Diese normalen Veränderungen werden primäre Presbyphagie bezeichnet. Unter anderem wird der Schluck später initiiert oder die Kraft der Kaumuskulatur verringert sich (Tabelle Alterungsprozesse des Schluckens). Infolgedessen wird beispielsweise das Kauen einer harten Brotrinde mühsamer. Was früher ein routinierter Spaziergang war, verändert sich zunehmend zu einer anstrengenden Bergwanderung. Die primäre Presbyphagie wird von einem gesunden Körper kompensiert und hat gewöhnlich keinen signifikanten Einfluss auf die Bedarfsdeckung. Jedoch kann es im Alter häufiger zu pharyngealen Residuen oder stille Penetrationen (nicht aber Aspirationen) kommen.



Sekundäre Presbyphagie

Tritt zusätzlich zu einer primären Presbyphagie eine neurologische Erkrankungen wie Parkinson-Krankheit, Demenz, Schlaganfall, eine strukturelle Veränderungen der HWS oder HNO-Tumore, Polypharmazie, Harnwegsinfektionen, Femurfrakturen, usw. auf, kann sich ein altersgerechtes Schluckmuster in eine Dysphagie wandeln. Aufgrund der verminderten Reservekapazität des Körpers durch die Veränderung des Allgemeinzustandes ist Kompensation nicht mehr möglich. Nicht selten zeigen ältere Personen plötzlich Anzeichen von Penetrationen oder Aspirationen, wenn sie zu einer Behandlung eines Harnwegsinfekts ins Spital verlegt werden. Der Eintrittsgrund hat vermeintlich keinen Einfluss auf die Schluckmechanismen. Der deutlich geschwächte Körper kann nun jedoch eine beispielsweise verzögerte, aber altersgerechte Schluckinitiierung (primäre Presbyphagie) nicht mehr kompensieren. Es kommt vermehrt zu postdeglutitiven Reaktionen wie Husten oder Räuspern. Sobald der Infekt erfolgreich behandelt wurde, verschwinden die Anzeichen auf Penetrationen oder Aspirationen wieder. In solchen Fällen wird von einer sekundären Presbyphagie gesprochen. 

Bei anderen oben erwähnten Auslösern für eine sekundäre Presbyphagie, insbesondere bei progredienten Erkrankungen, kann die Dysphagie auch persistieren oder  mit der Progredienz zunehmen.



Diagnostik

Bei der geriatrischen Betreuung ist es wichtig, presbyphagische von dysphagischen Personen zu unterscheiden. Wenn Probleme beim Schlucken bemerkt werden, sollte mit dem Hausarzt oder der Hausärztin Kontakt aufgenommen werden. So kann eine Überweisung für eine klinische Schluckabklärung an einen Spezialisten oder eine Spezialistin, eine Logopädin oder Dysphagietherapeut, initiiert werden. 



Therapie der primären presbyphagie

Die Behandlung einer Presbyphagie unterscheidet sich von der Dysphagietherapie. Wichtig ist, dass die Patientinnen und Patienten über die Veränderungen im Alter aufgeklärt werden. Dabei soll ihnen bewusst werden, dass es sich um einen natürlicher Prozess handelt. Jedoch werden nun einzelne Situationen oder schwierige Konsistenzen zur Herausforderung. Folgende zwei Thematiken sind bei der Therapie einer Presbyphagie wichtig zu beachten:


Mundhygiene

Insbesondere auf hochfrequente und mechanische Mundhygiene mit Zahnbürste und Zahnpasta sollte geachtet werden, auch wenn die Personen Vollprothesen besitzen. Orale Bakterien stellen für die Lunge eine grosse Entzündungsgefahr dar. Die körpereigenen Schutzfunktionen der Lunge gegen Fremdmaterial reduzieren sich im Alter. Dadurch können schädliche Bakterien weniger gut bekämpft und eliminiert werden. 


Use it or lose it

Das beste Training, um der Sarkopenie, einer Abnahme der Muskelmasse der Schluckmuskulatur entgegenzuwirken, ist Schlucken durch Schlucken zu trainieren. Oft wird aufgrund von fehlenden Zähnen oder schlecht sitzenden Prothesen die Kost stark modifiziert oder püriert. Die Auswirkungen einer Kostanpassung sind weitreichend. Dabei sollte folgendes beachtet werden:

  • Die Kau- und Schluckmuskulatur baut schneller ab, wenn sie nicht gebraucht wird. Ganz nach dem Motto: Use it or lose it. Deshalb ist es wichtig, dass sie so lange wie möglich gebraucht und gefordert wird.
  • Das Kauen fördert die orale Gesundheit, die Speichelproduktion und ist der erste Schritt der Verdauung. Das Einspeicheln von Nahrung ist für die weitere Zersetzung des Essens im Magen zentral.
  • Pürierte Kost ist nicht attraktiv und wird von vielen Menschen abgelehnt. Eine ungenügende Bedarfsdeckung begünstigt zusätzlich das Risiko für eine Malnutrition.
  • Um feste Konsistenzen sicher zu schlucken, wendet der Körper mehr Muskelkraft im Vergleich zum Schlucken von pürierten Nahrungsmitteln auf. Damit kann die Schluckmuskulatur trainiert und kräftig erhalten werden, was in der Regel die postdeglutitiven Residuen zu reduzieren vermag und das Risiko von sekundären Aspirationen sinkt. 
  • Fehlende Zähne bedeuten nicht automatisch, dass harte Konsistenzen nicht mehr gegessen werden können und somit die Kost modifiziert werden muss. Es ist immer wieder beeindruckend, wenn eine Person das staubtrockene Lieblingsguetzli auf den Pilgern zermahlen und ohne Probleme schlucken kann. 


Die Symptome der Presbyphagie müssen jeweils individuell analysiert werden. Dabei ist es wichtig, sie von der Dysphagie zu unterscheiden, bei welcher teilweise eine sichere Nahrungsaufnahme bei Bolusaspirationsgefahr (z.B. durch gewürfelte Kost IDDSI 6) im Zentrum steht. Im Alter haben jedoch bereits einzelne Verhaltensveränderungen oder kleine Anpassungen einen grossen Einfluss auf die Symptome. Die Schluck- und Ess-Gewohnheiten und mögliche Alternativen sollten deshalb mit den Betroffenen ausführlich besprochen werden. Gepflogenheiten, wie im Gehen aus einer Flasche zu trinken, sind zunehmend herausfordernd. Diese Gewohnheiten können jedoch durch genaue Aufklärung und vorgeschlagenen Alternativen wie beispielsweisen Stehenbleiben zum Trinken, gut verändert werden. Weiter können einzelne Anpassungen beim Essen helfen. Beispielsweise kann die Flädli Suppe durch Crèmesuppen ersetzt oder auf einen Fruchtsalat zum Dessert verzichtet werden. Solche Massnahmen sind bei einer primären Presbyphagie sehr effektiv, ohne die Lebensqualität im Alter stark einzuschränken. 

Therapie der sekundären Presbyphagie

Einer sekundären Presbyphagie liegt entweder eine akute Verschlechterung des Allgemeinzustandes wie z.B. ein Harnwegsinfekt oder eine zusätzliche Erkrankung, beispielsweise eine Parkinson Krankheit zu Grunde. Die Behandlung der sekundären Presbyphagien unterscheidet sich je nach Ätiologie.

Behandlung bei akuten Allgemeinzustandsveränderungen

Das Dysphagiemanagement durch eine Logopädin oder einen Dysphagietherapeuten ist in der akuten Situation zentral. Das altersentsprechenden Schluckmusters dekompensiert und es kommt zu dysphagischen Symptomen wie beispielsweise postdeglutitivem Husten. Durch klinische Schluckuntersuchungen wird die sicherste Nahrungsaufnahme evaluiert. Dabei ist wichtig zu beachten, dass die Kost- und Trinkeinstellungen hochfrequent überprüft werden. Denn sobald sich der Allgemeinzustandes verbessert, hat der Körper wieder mehr Kapazität zur Verfügung. Dies beeinflusst die Kompensation der altersentsprechenden Schluckfunktionen positiv und die dysphagischen Symptome reduzieren sich oder sind regredient. Im Akutsetting kann dies innerhalb von Tagen passieren. 

Therapie bei zusätzlichen Erkrankungen

Bei zusätzlich diagnostizierten Erkrankungen, wie beispielsweise einer Parkinson-Krankheit oder bei strukturellen Veränderungen durch einen HNO-Tumor, basiert das Dysphagiemanagment der sekundäre Presbyphagie auf der entsprechenden Ätiologie. Vergleiche dazu das diagnostische und therapeutische Vorgehen bei einer Dysphagie



Dieser Artikel wurde von der Gastautorin und erfahrenen Dysphagietherapeutin Norina Hauser verfasst.

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