Diätanpassungen: eine gängige Praxis überdenken

von Ed Bice, M.ED., CCC-SLP und Co-Autorin Angela Van-Sickle, Ph.D., CCC-SLP,


Wir bedanken uns bei Dysphagia Cafe für das Zurverfügungstellen des englischen Originalartikels!

Der aktuelle Stand der Praxis

Eine Kostumstellung bei Patienten mit Dysphagie ist eine gängige Praxis bei Logopäden (Garcia, Chambers & Molander, 2005; Steele et al., 2015). Eine Studie, die die Verwendung von eingedickten Flüssigkeiten in Pflegeeinrichtungen untersuchte, ergab, dass durchschnittlich 8,3% der Bewohner mehr oder minder eingedickte Flüssigkeiten erhielten: 60% erhielten nektarartige Flüssigkeiten, 33% erhielten honigartige Flüssigkeiten und 6% erhielten puddingartige Flüssigkeiten (Castellanos, Butler, Gluch & Burke, 2004). Therapeuten berichten häufig über den klinischen Nutzen veränderter Flüssigkeiten und Nahrungsmittel (Castellanos et al., 2004). Weniger Husten, kürzere Dauer der Mahlzeiten und weniger Erstickungsanfälle können Vorteile einer modifizierten Ernährung sein. Dies kann die Lebensqualität vieler Menschen, die an Schluckbeschwerden leiden, verbessern. Ein kürzlich veröffentlichter Artikel "Dinge, die wir ohne Grund tun: Die Verwendung von angedickten Flüssigkeiten bei der Behandlung von erwachsenen Dysphagiepatienten im Krankenhaus"  (Lippert, 2019), sorgte für Aufsehen. Obwohl der Artikel komplexe Konzepte in vereinfachten Worten darstellt, ist die Überprüfung der aktuellen Praktiken sinnvoll. Wir müssen erkennen, dass es möglicherweise negative Auswirkungen durch Ernährungsumstellungen gibt. In unserem Bestreben, Patienten vor Aspiration und Lungenentzündungen zu schützen, ist es für Schlucktherapeuten wichtig, alle möglichen Auswirkungen einer Diätmodifikation zu berücksichtigen.

Stand der aktuellen Forschung

In den letzten Jahren wurden drei systematische Reviews zu Veränderungen der Textur und verdickten Flüssigkeiten durchgeführt (Andersen, Beck, Kjaersgaard, Hansen, 2013; Beck, Kjaersgaard, Hansen & Poulsen, 2018; Steele et al., 2015).

Andersen et al. (2013) untersuchten die Evidenz bei Modifikation der Ernährung und verdickten Flüssigkeiten  und ihre Auswirkungen auf das Auftreten von Aspirationspneumonie sowie die Auswirkungen auf Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr. Die Autoren zogen aufgrund der geringen Zahl von randomisiert kontrollierten Studien und Metaanalysen auch Kohortenstudien ein. Letztendlich umfasste die Review 16 Studien. Die Autoren kamen zum Schluss, dass es zwar Hinweise gibt, dass verdickte Flüssigkeiten unmittelbare Aspiration stoppen können, es jedoch keine hochgradige Evidenz gibt, dass die Verwendung verdickter Flüssigkeiten die Aspirationspneumonie bei chronischer Dysphagie verhindert. Die Forscher fanden nicht genügend Beweise, um Empfehlungen zu Diätmodifikation oder Kostanpassungen abzugeben. Es ist interessant, dass die Autoren die Verwendung modifizierter Nahrungsmittel trotz fehlender Bestätigung als "gerechtfertigt" ansahen.

In Vorbereitung auf die Entwicklung einer gemeinsamen Terminologie für Flüssigkeiten und Lebensmitteln prüfte das Team der International Dysphagia Diet Standardization Initiative (IDDSI) unter der Leitung von Dr. Catriona Steele die Evidenzlage im Jahr 2015. Die Gruppe überprüfte 488 Artikel und fand darunter 36 Artikel, die das orale Verarbeitungs- oder Schluckverhalten für mindestens zwei flüssige Konsistenzen oder Lebensmitteltexturen verglichen. Die Gruppe fand zwei Trends: Erstens, ähnlich wie bei Andersen et al. (2013) können angedickte Flüssigkeiten das Risiko für unmittelbare Penetration oder Aspiration verringern. Zweitens können verdickte Flüssigkeiten die Residuen nach dem Schlucken erhöhen. Die Autoren bezeichneten den geringen Forschungsstand zur Modifizierung von Nahrungsmitteln als "enttäuschend".

Schließlich stellte die jüngste systematische Übersicht (Beck et al., 2018) dieselben Fragen wie Andersen et al. (2013), verglich zwei randomisiert kontrollierte Studien und lieferte wenig mehr an Antworten. In Bezug auf texturveränderte Lebensmittel wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass „keine Literatur gefunden wurde, die die Auswirkungen der Verwendung texturveränderter Lebensmittelkonsistenzen als Strategie zur sicheren und effizienten Nahrungsaufnahme untersucht“ Das Risiko-Nutzen-Verhältnis beim Einsatz von nektarartigen oder honigartigen Flüssigkeiten war „unklar“. Sie identifizierten keine Literatur, die ihre Einschlusskriterien erfüllte, um die Auswirkungen von mäßig dicken oder extrem dicken Flüssigkeitsmengen auf das Schlucken aufzuzeigen.

Mögliche Nebenwirkungen von Diätmodifikation

Neben den systematischen Überprüfungen der aktuellen Evidenz für den Nutzen einer veränderten Ernährung gibt es auch Literatur zu möglichen Nebenwirkungen. Eingedickte Flüssigkeiten können zu einer Vielzahl von Problemen führen. Eingedickte Flüssigkeiten können ein Gefühl der „Fülle“ hervorrufen, welches zu geringerer Trinkmenge führt. Auch die veränderte Geschmackswahrnehmung kann die Motivation zum Trinken reduzieren. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Wirkmechanismen von Medikamenten negativ beeinflusst werden können (Cichero, 2013). Andere mögliche Nebenwirkungen sind Dehydration (Sura, Madhavan, Carnaby & Crary, 2012), vermehrt Reflux, langsamere Magenentleerung, Verstopfung (Gosa, Schooling, Coleman, 2011), vermehrte Verwirrungszustände (Wittbrodt & Millard-Stafford, 2018) und verminderte Fähigkeit, an Übungsprogrammen teilzunehmen (Maughan, 2003). Dehydration, die häufigste Nebenwirkung von verdickter Flüssigkeit, führt zu einer Reihe von Problemen, darunter Harnwegsinfektionen, Hypotonie und Delirium (Bennett, 2000) sowie zu schlechter Erholung, erhöhten Komplikationen und Mortalität bei Schlaganfallpatienten (Bahouth, Gaddis) , Hillis & Gottesman, 2018; Rowat, Graham & Dennis, 2012).

Auch das Modifizieren von festen Nahrungsmitteln kann zu ungewollten Nebenwirkungen führen. Eine modifizierte Ernährung enthält weniger Nährstoffe als normale Kost (Vigano, 2011). Im Vergleich zu Normalkost enthält pürierte Diät 31,4% weniger Kalorien, 45,4% weniger Eiweiß und 41% weniger Lipide. In einer Studie mit über 60-jährigen Patienten in stationärem Setting (Wright, Cotter, Hickson & Frost, 2005) wurde die Nahrungsaufnahme untersucht. Patienten, die eine texturmodifizierte Diät einnahmen, hatten eine signifikant geringere Aufnahme an Kalorien oder Protein als Patienten, die Normalkost assen. Eine Nahrungsergänzung wurde für 54% der Patienten mit einer texturmodifizierten Diät empfohlen, verglichen mit 24% der Patienten mit einer regulären Diät. Diese Daten legen nahe, dass das Pürieren fester Lebensmittel zu Mangelernährung beitragen kann. Mangelernährung beeinträchtigt die Funktion und Erholung jedes Organsystems und beeinträchtigt insbesondere das Immunsystem (Saunders & Smith, 2010).

Schließlich wirkt sich die Veränderung von Flüssigkeiten und Feststoffen auf die Lebensqualität aus. Eine systematische Durchsicht der Literatur zu den Auswirkungen veränderter Ernährungsweisen auf die Lebensqualität ergab, dass eine starke Bolusmodifikation mit einer verminderten Lebensqualität der Patienten mit Dysphagie verbunden war (Swan, Speyer, Heijnen, Wagg & Cordier, 2015) Eine andere Forschergruppe (McCurtin, A., Healy, C., Kelly, L., Murphy, F., Ryan, J., Walsh, J. 2018) stellten ebenfalls eine erhöhte Belastung der Patienten durch höhere Kosten, unerwünschten Geschmack und höheren Zeitaufwand fest.

Wandel der gängigen Praxis erleichtern

Obwohl Diätmodifikationen ein Hauptpfeiler für Schlucktherapeuten war und wohl noch länger bleiben wird, gibt es kaum Evidenz, die den Einsatz von angepasster Diät oder eingedickten Flüssigkeiten stützen könnte. Es ist unwahrscheinlich, dass sich dies bald ändern wird. Es ist jedoch wichtig, dass neben Diätmodifikation andere Behandlungsansätze in Betracht gezogen werden, einschließlich Haltungstechniken, Karbonatisierung oder freie Wasserprotokolle (McCurtin, 2018). Darüber hinaus ist es für Therapeuten unerlässlich, dem Patienten  eine realistische Sicht auf Risiken und Vorteile von Modifikationen zu präsentieren. Nur mit diesem Wissen ist es dem Patient möglich, eine fundierte Entscheidung für eine bestimmte Konsistenz zu treffen (Horner, Modayil, Chapman & Dinh, 2016).